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Die Zukunft des Stadtverkehr Hildesheim (SVHI): Noch 21 Tage bis Fristende

(vom 03.03.2016)

Bei dem kommunalen Hildesheimer Verkehrsunternehmen Stadtverkehr Hildesheim (SVHI) sind 120 Arbeitsplätze in Gefahr.

Zum Hintergrund:

Der Stadtverkehr Hildesheim ist seit dem Jahr 2007 von der Stadt Hildesheim mit der Wahrnehmung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Hildesheim betraut. Diese Betrauung hat eine Gültigkeit von zehn Jahren, so dass ab dem Jahr 2017 eine Nachfolgeregelung für weitere zehn Jahre getroffen werden muss.

Ab 2017 müssen die Buslinien in Hildesheim folglich neu vergeben werden. Die Stadt Hildesheim hat sich, wie im europäischen Recht explizit vorgesehen, per einstimmigen Ratsbeschluss für eine Direktvergabe an den Stadtverkehr Hildesheim entschieden. „Durch die Entscheidung für die Direktvergabe an den SVHI haben sich die Stadtwerke Hildesheim sowie der Rat und die Verwaltung der Stadt Hildesheim klar zu den bisherigen und jetzigen Strukturen bekannt, nämlich, dass der jährliche Fehlbetrag des SVHI von bis zu 3 Millionen Euro wie bisher durch die Stadtwerke übernommen wird,“ so der kaufmännische Geschäftsführer des SVHI, Michael Bosse-Arbogast.

Die für die Direktvergabe notwendige sogenannte Vorabbekanntmachung ist am 24. Dezember 2015 im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden. Hieran schließt sich auf Grundlage des 2012 novellierten Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) eine 3-monatige Frist an, in der andere Unternehmen gegenüber der Genehmigungsbehörde, der Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG), einen sogenannten eigenwirtschaftlichen Antrag stellen können. Diese Frist läuft am 24. März ab.

Beim SVHI geht man davon aus, dass mindestens ein Tochterunternehmen der DB einen Antrag stellen wird. Aktuell ist dies in Pforzheim geschehen und zwar mit der Konsequenz, dass 250 Menschen bei den Verkehrsbetrieben Pforzheim ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Das Unternehmen wird abgewickelt. Der SVHI könnte nach Pforzheim das nächste Unternehmen sein.

In der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung vom 26.02.2016 äußert sich Andree Bach, Geschäftsführer der DB Regio Bus, wie folgt: „Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, wir müssen wie alle anderen gut wirtschaften und uns dem Wettbewerb stellen“. Auf die Bedrohung der Arbeitsplätze beim SVHI angesprochen, sagt Bach in demselben Artikel: „Aber das ist die bittere Seite des Wettbewerbs.“

„Das stimmt doch gar nicht“, kontert Kai Henning Schmidt, Geschäftsführer des SVHI: „Wir befinden uns hier überhaupt nicht in einer echten Wettbewerbssituation, sondern in einer, in der ein eigenwirtschaftlicher Antrag immer alles andere schlägt. Das hat doch mit einem Wettbewerb in einem echten Vergabeverfahren nichts zu tun. Außerdem hat der SVHI nur einen Geschäftszweck, und das ist die Gewährleistung des ÖPNV in Hildesheim. Wenn wir den nicht mehr haben, sind wir weg vom Fenster. Die Bahn dagegen agiert bundesweit.“ Bosse-Arbogast ergänzt: “Außerdem haben wir in Deutschland die soziale Marktwirtschaft und nicht eine „reine“ Marktwirtschaft.“

Für unser Unternehmen hieße das, dass wir dieses bei einem eigenwirtschaftlichen Antrag Dritter ab Anfang 2017 komplett abwickeln müssten. Dies betrifft dann 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SVHI sowie 55 Arbeitsplätze bei weiteren Unternehmen, die verschiedene (Fahr-) Leistungen für den SVHI erbringen. Damit besteht eine konkrete Gefahr für 175 Arbeitsplätze in der Stadt Hildesheim.

Die Stadt Hildesheim könnte bei einem eigenwirtschaftlichen Antrag eines anderen Unternehmens ihre Funktion als Aufgabenträgerin für den ÖPNV in Hildesheim nicht mehr wahrnehmen. Hierzu hat sich bereits Michael Winnes, Justiziar beim Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN) in „Der Kämmerer vom 26.02.2016“ geäußert: „Das größte Problem bei den eigenwirtschaftlichen Betrieben ist, dass es zwischen dem Aufgabenträger und dem Verkehrsunternehmen keinen Vertrag gibt.“ […] Winnes weiter: „Eigentlich darf ich dem eigenwirtschaftlichen Betreiber ja nicht mal einen Zuschuss dafür anbieten, wenn in der Laufzeit einer eigenwirtschaftlichen Genehmigung neue zusätzliche Fahrten, z.B. Schulbusverstärker – oder Linienwegsänderungen notwendig werden, denn dann wäre der Betrieb ja nicht mehr zuschussfrei und die Eigenwirtschaftlichkeit würde nachträglich widerlegt werden.“ Auch in Hildesheim wäre die Stadt damit für 10 Jahre außen vor.

Ein weiterer, erheblicher Nachteil für die Stadt Hildesheim wäre, dass bei einer Abwicklung des SVHI Kosten von mindestens 10 Mio. Euro auf die Stadtwerke Hildesheim zukommen können, die sich dann mittelbar auf die Stadt Hildesheim auswirken würden. „Das ist doch volkswirtschaftlicher Irrsinn“, wettert Bosse-Arbogast. „Und dann stellt sich die Bahn auch noch hin und erzählt etwas von finanziellen Vorteilen und Effizienz für die Kommune. Das ist falsch, Augenwischerei und mit Blick auf unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach nur zynisch. DB und effizient im Sinne unserer Stadt passt nicht zusammen.“ Kai Henning Schmidt gibt zusätzlich zu bedenken, „wenn der SVHI erst einmal abgewickelt ist, gibt es in Hildesheim keine Strukturen mehr, die den ÖPNV in der bekannten Form gewährleisten können. Weg ist weg, das sollte allen bewusst sein.“

Die Geschäftsführer des SVHI prüfen daher seit Wochen, unter Einbeziehung des Betriebsrates und unterstützt von den Führungskräften und Mitarbeitern des Unternehmens, externen Beratern und Juristen, alle Möglichkeiten, die das Unternehmen SVHI und die Arbeitsplätze sichern könnten, sofern ein eigenwirtschaftlicher Antrag eines anderen Unternehmens bei der LNVG eingereicht wird. Geprüft wird auch die Möglichkeit, selbst einen eigenwirtschaftlichen Antrag zu stellen.

In der Diskussion der letzten Tage wurde immer wieder, teilweise unterschwellig aber auch offen, der Vorwurf geäußert, dass die Stadt Hildesheim den bestehenden Tarifvertrag des SVHI zur Pflicht hätte machen können. Dazu Kai Henning Schmidt: „Bei eigenwirtschaftlichen Anträgen darf es keine Bedingung zu einem Tarifvertrag geben. Das niedersächsische Tariftreuegesetz ist hierauf nicht anwendbar. Unsere seit langem geäußerte Rechtsmeinung wird auch von dem Ver.di Bundesvorstand geteilt:“ In einer Pressemeldung vom 5. Februar 2016 schreibt Ver.di: […] „Hintergrund ist, dass eine Kommune durch europäisches Recht zwar die Wahl hat, den Nahverkehr entweder auszuschreiben oder direkt an ein eigenes Unternehmen zu vergeben. Sie kann dazu Vorgaben zur Qualität und zu sozialen Bedingungen für die Beschäftigten machen. Das deutsche Recht räumt Bietern durch eine Regelung im Personenbeförderungsgesetz jedoch die Möglichkeit ein, sogenannte eigenwirtschaftliche Anträge zu stellen. In diesem Fall müssen Beschäftigten keine sozialen Standards wie beispielsweise Tarifverträge geboten werden. Auch die Tariftreuegesetze der Länder gelten dabei nicht.“

Kai Henning Schmidt: „Die Kommunalpolitik hat sich zu 100 Prozent zu unserem Unternehmen und zur weiteren Zusammenarbeit mit dem SVHI bekannt. Mehr geht nicht. Und, alles läuft gesetzeskonform in einem Verfahren mit einer deutlichen Gesetzeslücke. Das ist ja das Schlimme. Insofern muss das Unternehmen und müssen damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diese Situation reagieren. Auch wenn es weh tut, aber ansonsten gibt es den SVHI vielleicht dann nicht mehr. Wir können uns nur selbst helfen.“

Die Geschäftsführung des SVHI hat sich mit einem eindringlichen Brief an Olaf Lies, den Niedersächsischen Minister für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr sowie die Bundestagsabgeordneten aus Stadt und Landkreis Hildesheim gewendet. Mit allen genannten Abgeordneten und dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium steht die Geschäftsführung des SVHI in einem guten und sachlichen Kontakt.

Außerdem wurde der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Prof. Dr. Dr. Utz-Hellmuth Felcht mit Schreiben vom 12. Februar über die Situation in Hildesheim informiert und auf die Gesetzeslücke im novellierten Personenbeförderungsgesetz hingewiesen, die sich die DB zu eigen macht.

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